Christlicher Religionsunterricht – ein neues Fach!?
Zu dieser Fragestellung fand im März 2024 in der ARO der Fachtag Religion statt. Wie der Vortrag muss auch dieser Artikel mit dem Hinweis beginnen, dass wir mitten im Prozess der Entwicklung dieses Fachs stehen. Für ein Resümee ist es also noch deutlich zu früh und vielleicht steht es den Mitwirker:innen auch gar nicht zu. Alle Vorüberlegungen, alle Beratungen, alle Beschlüsse werden sich schlussendlich in jeder Unterrichtsstunde, die engagierte Religionslehrkräfte durchführen werden, beweisen müssen. Nichtsdestotrotz können die bisherigen Schritte eine Spur legen, was am Ende des Entwicklungsprozesses auf alle zukommen könnte.
Ganz sicher wird in den kommenden Jahren, welcher Studie oder deren Updates man nun auch immer folgen möchte, die Anzahl der getauften Christ:innen signifikant zurückgehen. Das bedeutet, dass nach dem bisherigen Verteilungskonzept immer weniger Schüler:innen dem Religionsunterricht der christlichen Konfessionen zugeteilt werden, und in der Konsequenz, dass weniger Unterrichtsstunden, weniger Lehrkräfte, weniger Ausbildungsplätze gebraucht werden. Diese Erkenntnis hat die Schulreferent:innen der drei niedersächsischen katholischen Bistümer und der fünf Landeskirchen veranlasst, dass sie frühzeitig über eine Weiterentwicklung des inzwischen seit 1998 ermöglichten KoKoRU nachzudenken. Das gelang im ökumenischen Miteinander vor allem auch deshalb, weil bereits seit vielen Jahren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gewachsen war, die ein solches Projekt überhaupt erst ermöglichen konnte. In dem im Mai 2021 veröffentlichten Positionspapier wurden die Eckpunkte eines Religionsunterrichts in gemeinsamer Verantwortung dargestellt.
In diesem Papier wurde bereits auf die organisatorischen und strukturellen Erfahrungen mit dem KoKoRU zurückgegriffen. Gleichzeitig konnte auch auf die umfangreichen Erfahrungen der Religionslehrkräfte gebaut werden, für die in den meisten Schulformen in Niedersachsen die konfessionelle Kooperation nicht mehr zum Ausnahme-, sondern zum Regelfall geworden ist. Aus diesem Grund schloss sich an die Veröffentlichung ein Eineinhalbjähriger Beratungsprozess an, in dem mit Vertreter:innen aller Schulformen, mit Multiplikator:innen der verschiedensten Institutionen und mit diversen Einrichtungen der Kirchen und des Landes sowohl über ihre Erfahrungen mit der Ist-Situation des Religionsunterrichts als auch über die Überlegungen und Perspektiven des Positionspapiers diskutiert wurde. Dieser Beratungsprozess endete und verdichtete sich in einem gemeinsamen Symposion, bei dem nicht nur die Ergebnisse der Beratungen, sondern auch Erkenntnisse aus der Fachwelt zusammenkamen.
Im Dezember 2022 entschlossen sich die Bistümer und Landeskirchen auf Basis der Ergebnisse des Beratungsprozesses und des inzwischen erschienenen verfassungsrechtlichen Gutachtens von Prof. Dr. Poscher, das Land Niedersachsen um die Aufnahme von Verhandlungen zur Einführung eines neuen Unterrichtsfachs zu bitten. Kultusministerin Julia Willie Hamburg hat dieser Bitte dankenswerterweise entsprochen, so dass inzwischen auf vielen Ebenen an der Entwicklung eines neuen Fachs, das den Titel „Christlicher Religionsunterricht“ (CRU) tragen soll, intensiv gearbeitet wird. Insofern kann die Anfangsfrage schon einmal mit einem ja beantwortet werden.
Aktuell - im Mai 2024 - arbeiten zwei Kommissionen daran, curriculare Vorgaben für ein Fach CRU in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I zu entwickeln. Hier besteht insofern noch eine Neuerung, als dass es für die Sek I keine schulformspezifischen Vorgaben mehr geben wird, sondern ein gemeinsames Curriculum, in dem zwischen den verschiedenen Schulabschlüssen differenziert werden soll.
Wie soll nun dieser neue christliche Religionsunterricht organisiert sein? Wesentlicher Eckpunkt des Positionspapiers ist: Das neue Fach muss unter die Rahmenbedingungen des Art. 7 Abs. 3 GG fallen. Das heißt konkret, dass weiterhin ein bekenntnisgebundener Religionsunterricht angeboten werden soll, in dem evangelische und katholische Lehrer:innen als authentische Vertreter:innen ihrer christlichen Konfession den Unterricht aus der Teilnehmendenperspektive erteilen. Die Bistümer und Landeskirchen vertrauen den Religionslehrkräfte der je anderen Konfession, dass diese auch die ihnen bekenntnisfremden Inhalte wertschätzend und im ökumenischen Geist allen Schülerinnen vermitteln werden. Dabei soll auch in Zukunft die je eigene Positionalität, die sowohl bekenntniseigenen wie auch bekenntnisfremden Inhalten gegenüber (theologisch) kritisch ausfallen kann, wesentlicher Bestandteil ihrer fachlichen Expertise sein und bleiben.
Das Positionspapier schlägt eine gemeinsame Vertretung der Bistümer und Landeskirchen gegenüber dem Land Niedersachsen vor. Der CRU soll Pflichtfach für alle evangelischen und katholischen Schüler:innen sein und ein Wahlfach für alle weiteren interessierten Schüler:innen. Die Ausbildung der angehenden Religionslehrkräfte müsste so gestaltet werden, dass Wechsel aus oder nach Niedersachsen in Zukunft keine zusätzliche Hürde erhalten.
Viele Inhalte aus dem bisherigen Religionsunterricht werden auch im CRU wiederzufinden sein. Allerdings dürfte eine Zusammenführung zweier Fächer zu einem neuen Fach nicht ohne Streichungen einhergehen. Außerdem haben die Rückmeldungen im Beratungsprozess gezeigt, dass es markante Desiderate in den aktuellen Lehrplänen gibt, die bei einer Überarbeitung bzw. Neuauflage der Kerncurricula bedacht werden sollten: z. B. die christliche Orthodoxie.
Der eigentliche Paradigmenwechsel könnte sich bei allen theoretischen Vorüberlegungen erst im Unterricht zeigen: den Religionsunterricht vom Gemeinsamen her zu denken, auf Basis des Gemeinsamen zu argumentieren und die sich zeigenden Differenzen zu begründen. Im Konkreten: nicht zuerst das, was die Konfessionen trennt, markieren, und danach nach Gemeinsamkeiten suchen, sondern zuerst das gemeinsame Christliche zu formulieren und die Differenzierungen, da wo sie (für Schüler:innen noch) nennenswert sind, zu erläutern und sie weniger als trennend, sondern in ihrer Vielfalt als bereichernd darzustellen.
Im Sinne der Ausgangsfrage heißt das, dass die Erfahrungen aus dem KoKoRU sich wertvoll im CRU erweisen werden, dass die gewachsenen (ökumenischen) Strukturen in den Schulen die zukünftige Arbeit fördern werden. Vieles was gut war, soll bleiben.
Und jetzt? Der Beratungsprozess, der auch Dank der Beteiligung so vieler Kolleg:innen aus der Praxis so produktiv geworden ist, hat allen (mit-)gestaltenden Gremien und Institutionen die eine und andere Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben. Über die weitere Entwicklung, tatsächliche Beschlüsse und deren Konsequenzen informieren die Kirchen auf der gemeinsamen Homepage www.religionsunterricht-in-niedersachen.de. Es lohnt sich diese Seite im Blick zu behalten. Aber auch die Homepages und Newsletter aller beteiligten Institutionen werden ergänzend dazu die neuesten Fakten in die Breite streuen. Die Kirchen bereiten derzeit ihre Unterstützungsformate und -angebote vor, um im Falle konkreter Daten und Rahmenvorgaben umgehend reagieren zu können.
Im Grunde geht es um Begegnung und Vertrauen. Das, was die ersten Schritte zum Positionspapier ermöglichte, das, was so viele Multiplikator:innen bereits seit Jahren in ihren Konferenzen gestalten und weitergeben, das, was so viele Kolleg:innen in der Praxis sowohl mit als auch ohne KoKoRU tagtäglich leben, der ökumenischer Geist macht sich mit großen Schwung daran, die nächste Stufe zu nehmen.
Jens Kuthe – Leiter des Bereichs „Religionsunterricht“ der Schulstiftung im Bistum Osnabrück
Alle wesentlichen Informationen dieses Artikels sind dem Positionspapier der Schulreferent:innen und den Veröffentlichungen auf der gemeinsamen Homepage www.religionsunterricht-in-niedersachsen.de entnommen. Abweichende Nuancierungen sind die Perspektive des Autors und keine kirchliche Stellungnahme.